Mann. Trans. Sein. - Aspekte begrifflicher Verwirrungen

Das lang erwartete Buch „Trans. Frau. Sein ” der „Skandalautorin” Felicia Ewert ist endlich lieferbar. Nachdem Sibel Schick und Annika Spahn das Buch empfohlen haben, konnte ich nicht widerstehen und habe für euch ein Blick in das Buch geworfen. Der Autor identifiziert sich als Frau und startete mit Ende zwanzig seine Gender-Transition. Auf Twitter ist er bekannt als @redhidinghood_ , er gehört dort zur sogenannten „POMO-Bubble”. Die POMO-Bubble vereint Menschen, die darum streiten, wer das größte Opfer ist. Mit Konsistenz, Kohärenz und ähnlichen Werten nehmen sie es dabei nicht so genau. Opfer-Sein sticht Logik. Und wer Opfer ist, dem muss geglaubt werden, sie haben den überlegeneren epistemischen Standpunkt. Auch die Umgangsformen sind abhängig vom Status in der Opferhierarchie. Wer Opfer ist, darf austeilen. So wird etwa Herr Ewert wird nicht müde unter Beifall zu betonen, dass Männer „Abfall” sind1. Sagt dagegen ein Weißer „Neger”, tobt die Szene.

Felicia Ewert ist Opfer, weil er „trans” ist und weil er eine Frau ist. Als „mehrfach Marginalisierter” hat er eine hohe Position in der Opferhierarchie. Zu seinen ideologischen Feinden gehören einige Radikalfeministen („TERFs”), die ihn nicht als Frau anerkennen wollen, sondern ihn als Mann aufseiten der Täter sehen. Um seine Opferposition zu verteidigen, geht er in dem Buch gleich mehrfach auf sie ein, obwohl sie im öffentlichen Diskurs keine Rolle spielen. An einem anderen Punkt bekennt er sich jedoch schuldig, die Erbsünde des Weiß-Seins lastet auf ihm, weswegen er sein Buch mit einer peinlichen Hommage an „Schwarze Frauen, Frauen of Color und ebenso Schwarzen non binary Personen und non binary Personen of Color” beendet. Die POCs mussten irgendwie mit ins Buch, obwohl sie inhaltlich keine Rolle spielen.

In dem Buch erwartet einen also genau das, was man angesichts seiner Twitter-Timeline erwarten würden: Eine wehleidige Opferinszenierung, die nur an wenigen Stellen ein paar interessante Gedankensplitter enthält. Bereits formal ist das Buch ganz pomo: immer wieder stößt man auf Rechtschreib- und Grammatikfehler, fehlerhafte Zeichensetzung und chaotische Formatierung: nicht eingerückte Aufzählungen ohne Aufzählungszeichen; Zeilen, die wohl eine Überschrift darstellen sollen, aber nicht optisch hervorgehoben wurden; Notizen, die wohl als Fußnote gedacht waren, aber unvermittelt im Fließtext erscheinen, usw. Ein Lektorat scheint es beim assemblage-Verlag nicht zu geben. Die meisten Fehler hätte bereits ein handelsübliches Textverarbeitungsprogramm angekreidet. Ob er die Rechtschreib- und Grammatikkorrektur deaktivieren musste, weil diese bei den szenentypischen Marotten wie Gender-Sternchen oder den zahlreichen Worten, die einfach dem Englischen übernommen wurde, sowieso scheitert?

Der Umfang des Buches beträgt nur knapp über 150 Seiten -- bei überraschend großer Schriftgröße. Die 25 Kapitel hat man schnell gelesen. Mit den Kapiteln wechselt er häufig die Ebene. Mal erzählt er aus seinem Leben, mal schildert er die Rechtslage für Transsexuelle in Deutschland, mal erläutert er gegnerische Positionen, dann kommt wieder ein langer rant oder er rekapituliert seine Twitter-Kämpfe. Am interessantesten fand ich die Kapitel, in denen er aus seinem eigenen Leben erzählt, dem Leser erklärt, wie er ganz persönlich Geschlechtsdysphorie erlebte, wie sein Umfeld reagierte, usw. Leider sind diese Stellen sehr kurz gehalten. Geht er auf gegnerische Positionen wie denen der Radikal- oder auch einiger Mainstream-Feministen ein, scheitert er meist kläglich. Er schafft es nicht, deren Position angemessen wiederzugeben, und als Antwort kommen nur moralische Empörungsschreie oder er flieht ins Unverständliche.

In den ersten Kapiteln macht er den Leser mit dem szenentypischen Vokabular vertraut: Was bedeutet „Cissexismus”, „Transfeindlichkeit”, was sind „Gatekeeper”, usw. Das erleichtert denen, die mit seiner Welt nicht vertraut sind, den Einstieg. Gleichzeitig deutet sich bereits bei den Begriffsklärungen das Problem an, das sich durch die restlichen Kapiteln ziehen wird. Er redet zwar dauernd von „Geschlecht”, aber wir erfahren nur, was Geschlecht laut ihm nicht ist, eine positive Auflösung erfolgt nicht, jedenfalls keine verständliche.

Bei Sifftwitter und anderen ist er ja nicht ohne Grund so beliebt. Die Transaktivisten sind untereinander gespalten. Auf der einen Seite gibt es Aktivisten wie Debbie Hayton . Sie sagen von sich, dass sie eigentlich Männer sind, aber lieber so leben würden, als ob sie Frau wären. Auf der anderen Seite stehen Aktivisten wie Felicia Ewert oder Julia Serano . Sie halten sich für reale Frauen, sie sind mehr als nur Als-Ob-Frauen. Und wenn Menschen wie sie noch einen Penis haben, dann ist der Penis eben ein weibliches Körperorgan. Das ist eine sehr kontraintuitive Redeweise und auf solche Aussagen stürzen sich dann die Sifftwitterer und verspotten ihn.

Geschlechtliche Selbstbestimmung

Ein Beispiel für eine solche Redeweise aus dem Buch:

Ich möchte den Anstoß dazu geben, den Schluss vom Körper auf das Geschlecht in allen möglichen Facetten zu unterlassen.

Statt also von bestimmten Organen auf ein Geschlecht zu schließen, kann hiernach jedes Körperteil, jedes menschlich vergeschlechtlichte Organ jedem Geschlecht zugehörig sein. Eine Frau kann ausgeprägte Brüste und Penis haben. Sie kann diese Organe haben und sie für sich völlig anders bezeichnen, weil bestehende vergeschlechtlichte Begriffe bei der Person schwere Dysphorie auslösen können. [...]

Um es abzukürzen:

Falsch: „Ah, diese Körper weist diese oder jene Organe auf, muss also weiblich sein.”

Richtig: „Diese Person teilt mir mit, dass they eine Frau sei. Their Körper ist also eine Frau.”

[...]

Personen ein Geschlecht zuzuweisen und den Willen von ihnen nicht zu respektieren, ist Gewalt. Es läuft der geschlechtlichen Selbstbestimmung einer Person zuwider, wenn du versuchst deine diskriminierende Einstellung und Überzeugung als wichtiger zu betrachten.

[...]

Biologismus: Schluss vom Körper auf das Geschlecht, Abweichungen werden pathologisiert oder maximal als das Identität/Empfinden eingestuft.

Ich: umgekehrte Herangehensweise → Wenn Person eine Frau, dann Körper einer Frau.

An anderer Stelle:

Ich widerspreche keinerlei körperlichen Funktion von Chromosomen, Hormonen und Organen. Wohl aber den falschen Schlüssen, diese in ein unumstößliches, zweigeschlechtliches System zu integrieren und alle Personen, die „hinausfallen” und sich zur Wehr setzen zu attackieren, zu diskriminieren und auszuschließen. Anders ausgedrückt, bestimmte Organe zu haben, bedeutet, dass eine Person bestimmte Organe hat. Ein Geschlecht leitet sich daraus allerdings nicht ab und der Zwang zum Besitz eines bestimmten binären Geschlechts auch nicht.

Kurz: ich stelle nicht die Biologie ™ in Frage, sondern ihre biologistische Vereinnahmung von Menschen gegen Menschen.

Wer von sich sagt, er sei eine Frau, ist eine Frau. Selbstbestimmung. Punkt. Was das positiv bedeutet, wissen wir nicht. Es hat jedenfalls nichts mit Biologie zu tun, nichts mit Gameten, usw.

Biologisches Geschlecht vs. soziales Geschlecht

Gleich in mehreren Kapiteln diskutiert er die Unterscheidung zwischen biologischem Geschlecht („sex”) und sozialem Geschlecht („gender”). Männlein und Weiblein benötigen alle Kulturen zum Überleben, aber die konkreten Rollenerwartungen, Werte, Normen, etc. variieren von Kultur zu Kultur. Hier bietet sich ein Ausweg für Menschen wie ihn: Man könnte ihn als biologischen Mann klassifizieren, der lieber in der Rolle („gender”) einer Frau leben will.

Aber mit diesem Ausweg ist er nicht glücklich. Es ist ja immer noch von zwei „biologischen Geschlechtern” die Rede, was Ausschlüsse reproduziert. Hier ist kein Platz für nicht-binäre Menschen. Außerdem sind Rollen stets Rollen für jemanden. Für einen Polizisten gelten andere Normen als für einen Lehrer, je nach Funktionen in der Gesellschaft gibt es zusätzliche Regeln. Und dass es für Frauen und Männer unterschiedliche Normen gibt, wird gewöhnlich darauf zurückgeführt, dass sie zur Reproduktion einen unterschiedlichen Beitrag leisten („Biologismus”). Zudem sind Werte etwas, was gesellschaftlich ausgehandelt wird, das läuft dann der „geschlechtlichen Selbstbestimmung” zuwider.

Deshalb bezeichne ich die Kategorie des „sozialen” Geschlechts auch als das gute Gewissen des cis Sexismus. „Gutes Gewissen”, weil mit einer Berufung auf dieses, in Bezug auf trans Personen Wohlwollen und Respekt symbolisiert werden sollen. Mit einer Berufung auf ein „soziales Geschlecht” soll die Aufrechterhaltung der Kategorie des „biologischen Geschlechts” legitimiert werden [...]

Es wird beabsichtigt trans Personen Anerkennung zuzugestehen und gleichzeitig an cissexistischen Annahmen festzuhalten. Ein solcher Spagat geht grundsätzlich zu Lasten von trans Personen. Was hierbei geschieht ist eine Form der geschlechtlichen Hierarchieverstärkung, in der trans Personen unweigerlich auf eine niedrigere Stufe positioniert werden und zusätzlich noch eine gewisse Dankbarkeit von ihnen erwartet wird [...]

Jede Berufung auf eine biologische Nachweisbarkeit schließt Frauen aus und zwingt gleichzeitig Personen, die gar keine Frauen sind, unter dieses Label.

Aber er erkennt auch einen Fortschritt:

Wodurch sich diese Abgrenzung [zwischen sex und gender] auszeichnet, ist das Bewusstsein, dass Geschlecht eben nicht nur aus Biologismus besteht, sondern ein persönliches geschlechtliches Empfinden, eine Identität, ein Bewusstsein über das eigene Geschlecht [...] Das Geschlecht eben mehr ist als eine vermeintlich unabänderliche „biologische Tatsache”. Dies war auch mein erster Berührungspunkt und erster Ausschlaggeber, Geschlecht als etwas viel größeres zu begreifen.

Was das „viel Größere” sein soll, bleibt jedoch unverständlich. Wer sagt, er sei eine Frau, ist eben eine. Und wer sich als Blörg identifiziert, ist ein Blörg, wer sich als Kolü identifiziert, ist Kolü. Dass er ist nicht verständlich machen kann, liegt in der Natur der Sache. Um es verständlich zu machen, müsste er es auf etwas Konkretes zurückführen, etwa Verhaltensdispositionen, Charakterzüge, etc. Aber die könnte man von außen beobachten. Man selbst könnte sich irren, die anderen könnten Recht haben, die „geschlechtliche Selbstbestimmung” wäre nicht mehr gegeben. Selbstbestimmung und Verständlichkeit schließen sich aus. (Der Rückgriff auf „geschlechtliches Empfinden” oder dergleichen hilft nicht weiter. Wer steckt schon in der Haut des anderen und weiß, was diese fühlen? Auch das Sprechen über psychische Vorgänge wird erst dann verständlich, wenn man es auf beobachtbares Verhalten herunterbrechen kann.)

Begriffsdefinitionen schaffen keine Wirklichkeit

Er könnte den Punkt mit der Selbstbestimmung natürlich abschwächen, aber selbst dann ist mir nicht klar, was das alles soll. Begriffe sind so etwas wie mentale Repräsentationen der Wirklichkeit, sie geben uns die Fähigkeit, die Welt zu kategorisieren: Das ist ein Mensch, das ist ein Tiger, usw. Begriffe sind notwendigerweise ausschließend und diskriminierend. Man kann sich neue Begriffe ausdenken oder bestehende Definitionen ändern. Die Aussage von Person A „Philipp Ewert ist ein Mann” und die Aussage von Person B „Philipp Ewert ist eine Frau” können beide gleichzeitig wahr sein, sofern die beiden Sprecher mit den Wörtern „Mann/Frau” jeweils andere Begriffe verbinden. Philipp Ewert bleibt davon ganz unbeeindruckt. Er bleibt der, der er ist. Man ändert die Wirklichkeit nicht, indem man andere Begriffe an sie heranträgt.

Besonders deutlich wir der Unfug in dem Kapitel über „cotton ceiling”, in dem er Lesben, die Transfrauen als Partner ausschließen, ein schlechtes Gewissen einreden will. Aber man steht doch nicht auf Menschen, die mit einem bestimmten Wort („Frau”) klassifiziert werden oder die sich ein bestimmtes Geschlecht selbst geben; man steht auf konkrete Menschen aus Fleisch und Blut, Menschen, von denen ein bestimmter Geruch ausgeht, die so und so aussehen, die entsprechende Pheromone absondern, usw. Wenn morgen Tagebücher von Marilyn Monroe auftauchen, aus denen hervorgeht, dass sie sich als homosexueller Mann identifizierte, wird sie nicht plötzlich zum Sexobjekt schwuler Männer aufsteigen. Vermutlich gelingt es in begrenztem Maße, Menschen mit Begriffstricksereien zu übertölpeln und zu Entscheidungen zu drängen, die sie eigentlich nicht wollen. Aber das Ganze hat Grenzen, und einige Menschen werden das Spiel durchschauen und den Trickspieler zur Rede stellen.

An anderer Stelle will Herr Ewert gar seine Sozialisation als „weiblich” definiert wissen. Ja, das kann man alles umdefinieren, aber es geht ganz an der Sache vorbei. Die Menschen haben ihn in Kindheit und Jugend als Jungen angesehen und entsprechend behandelt; das ist das, was zählt, nicht das, was er im Alter von 31 vor sich hin definiert.

Begriffe müssen der Lebensrealität gerecht werden

Deine Frage: „Wenn nicht Körper, Intimorgane, Hormone und Chromosome das Geschlecht bestimmen, was dann?”

Dieser Frage möchte ich [...] entgegnen.

Weshalb ist es dir so wichtig, dass dein Geschlecht eine biologisch nachweisbare Grundlage hat?

Warum? Wir wollen Begrifflichkeit nutzen, die etwas mit unserer Lebensrealität zu tun haben. Wir sehen z.B. wie Hund oder Affen Spaß am Sex haben, wie sie ejakulieren, menstruieren, usw. Das läuft ähnlich wie bei uns, wir erkennen uns zum Teil in ihnen wieder und wenn wir genügend Generationen zurückgehen, werden wir sogar auf gemeinsame Vorfahren stoßen.

Diese archaischen Wurzeln tragen wir noch in uns. Einige Teile unseres Gehirns sind recht alt und ähnlich bei unseren Vorfahren anzutreffen, andere Teile, die mit Sprache und Selbstbewusstsein zu tun habe, sind evolutionär recht jung. Nicht alles, was in unserem Körper, unserem Gehirn vorgeht, ist unserem Selbstbewusstsein direkt zugänglich. Deshalb benötigen wir Wissenschaften wie die Psychologie, die uns diese Abläufe sichtbar machen und uns unser Verhalten erklären.

Eines der Dinge, die weitgehend automatisch ablaufen, ist die Einordnung eines Fremden, der uns gegenübertritt -- man kann das auch bei anderen Tieren als dem Menschen beobachten: Ist der Fremde ein Weibchen oder ein Männchen, ein Jungtier oder Erwachsener? Wo könnte er in der Hierarchie stehen? Wie der Gegenüber sich selbst definiert, spielt keine Rolle für die Gefühle, die in uns ausgelöst werden, und für die Taten, die wir dann meist unbewusst ausführen. Wir benötigen passende Begriffe, um Ordnung ins Chaos zu bringen, Tendenzen zu erkennen, welche Art von Menschen bei uns welche Gefühle hinterlassen. Ob die Bezeichneten sich dadurch diskriminiert, ausgeschlossen oder was auch immer fühlen, spielt keine Rolle, entscheidend ist die Nützlichkeit zur Beschreibung unserer Lebensrealität. Angesichts der schieren Masse an Menschen, mit denen wir konfrontiert werden, ist es ohnehin nicht möglichen, deren „Selbstbestimmung” zu respektieren.

(Ob nach seiner neuen Begrifflichkeit Hunde überhaupt ein Geschlecht haben? Sie haben kein Selbstbewusstsein und keine Autonomie, sie können sich kein Geschlecht geben.)

„Geschlechtliche Selbstbestimmung” als narzisstische Anmaßung

„Geschlechtliche Selbstbestimmung” stellt letztlich den Versuch dar, eine bestimmte Wahrnehmung der eigenen Person durch andere zu erzwingen, indem man seine Begriffe vernebelt, ihm ein bestimmtes Vokabular aufnötigt. Aufgrund der menschlichen Psychologie ist der Versuch zum Scheitern verurteilt. Die Opfer, die für den Versuch erbracht werden müssten, sind groß.

Es gibt z.B. die Regel, dass nur eine Polizistin die körperliche Durchsuchung einer Verdächtigten vornehmen kann. Männer haben das zu häufig missbraucht, zu viele Frauen fühlen sich unwohl dabei. Die gläubige Muslima reagiert vermutlich anders als eine Atheistin auf Angrabbelung durch einen Mann, das Vergewaltigungsopfer anders als eine Frau ohne eine solche Vergangenheit. Mit „geschlechtlicher Selbstbestimmung” ist die Regel hinfällig. Wenn sich der Polizist zur Frau erklärt, darf er die gläubige Muslima oder das Vergewaltigungsopfer begrabbeln. Sollen sie sich gefälligst nicht so anstellen! Der Grabbler ist eine Frau wie sie, seine „Gender-Gefühle” haben Vorrang vor ihrer cissexistischen Einschätzung der Lage.

Ein anderes Beispiel: Die junge Ayşegül wird im Auftrag ihrer Familie von ihren Cousins überwacht. Die müssen vor allem darauf achten, dass sie in ihrer Freizeit nicht mit Jungen Kontakt hat. Bisher wurde sie von ihren Cousins zum Volleyballtraining gebracht und danach wieder abgeholt. 90 Minuten hatte sie etwas Freiheit unter anderen Jugendlichen, die lockerer erzogen sind als ihre Verwandten. Sobald in das Sporttraining auch ein Junge kommt, der sich für ein Mädchen hält, ist es damit vorbei. Die Cousins werden ganz sicher nicht die absonderlichen Vorstellungen der POMO-Bubble übernehmen. Auch andere Mädchen bleiben dann lieber zu Hause, weil sie sich beim Umkleiden und unter der Dusche nicht von einem „Mädchen mit Penis” begaffen lassen wollen. Die Gefühle Ayşegüls und der anderen Mädchen spielen wieder keine Rolle, die Gender-Gefühle des „Mädchen mit Penis” haben Vorrang. Am Ende hat der Junge auch nicht viel davon, weil die ursprüngliche Mannschaft, mit der trainieren wollte, nicht mehr vorhanden ist...

Felicia Ewert spricht die Thematik selbst mehrfach an. In einem Kapitel schildert er gar, wie man ihn aus der Frauentoilette werfen wollte. Aber er zeigt keinerlei Verständnis für die Probleme, die hier entstehen. Wenn Fremdwahrnehmung und Eigenwahrnehmung auseinanderfallen, ist das für ihn Ausschluss und Diskriminierung, die nicht zu dulden ist. Es geht ihm einzig und allein um seine Gefühle, seine Verletztheit, wenn er oder andere Transfrauen daran erinnert werden, dass sie eben keine Frau sind. Die Gefühle der anderen werden entweder wegdefiniert oder dienen gar als Ausgangspunkt, um den Betroffenen Schuldgefühle einzureden: Was für ein bigotter Mensch, er hat „Transphobie” internalisiert, er sollte sich schämen!

Es gibt kein Recht darauf, von anderen so wahrgenommen zu werden, wie man es sich erhofft. Die Idee einer „geschlechtlichen Selbstbestimmung” ist zurückzuweisen. Er kann mit seinem Körper machen, was er will, inklusive Hormonersatztherapie und „Vaginal”-OP. Aber ob andere ihn als Frau anerkennen, ist deren autonome Entscheidung. Inklusion und Anerkennung kann man nicht erzwingen, er muss seine Mitmenschen darum bitten, ihn als Als-Ob-Frau anzuerkennen -- „soziale Konstruktion von Geschlecht” sozusagen. Das „Gatekeeping” durch Gerichte und Therapeuten, gegen das er in mehreren Kapiteln anschreibt, könnte Transsexuellen wie ihm da ironischerweise eine Hilfe sein. Je strenger das Screening durch Therapeuten, je größer die Hürden sind, desto größer ist das Vertrauen von Außenstehenden in das System, desto größer die Bereitschaft, bei deren Gender-Performance mitzumachen. Es ist wie in anderen Lebensbereichen auch. Wenn jeder qua Geburt ein Anspruch auf das Abitur hat, ist das Abitur nichts wert. Bestehen nur zehn Prozent eines Jahrgangs nach großer Anstrengung die Abiturprüfung, ist das Zeugnis viel mehr wert, man hat es bei den Bewerbungen einfacher, wird aber auch dann nicht von allen Unternehmen eingestellt werden. Und genauso werden auch Transgender damit leben müssen, dass es immer auch Menschen gibt, die sie anders als erhofft behandeln. Keine Begriffstrickersei wird daran etwas ändern. Und seine regelmäßigen Ausfälle auf Twitter werden vermutlich auch nicht zum Erfolg seines Anliegens beitragen.


  1. Da er keine Manieren hat, komme ich ihm auch nicht entgegen und nutze für ihn konsequent männliche Pronomen. Das ist eine Ausnahme, bei anderen Transfrauen nutze ich weibliche Pronomen. ↩︎